In einem der letzten Beiträge hier auf meinem Blog habe ich über den ersten big step in meiner Dissertation berichtet, nämlich über die Fertigstellung des Kapitels zur Mehrsprachigkeit (hier der Link zum Blog-Beitrag). Ab dem Zeitpunkt haben sich noch einige Korrekturen und Änderungen ergeben, aus denen resultierend ich eine sog. Simplest Systematics (in Anlehnung an Sacks/Schegloff/Jefferson 1974) für den mehrsprachigen Charakter von Orchesterproben erstellt habe.
Diese Systematik möchte ich hier auf meinem Blog teilen. Es handelt sich also um einen Einblick in meine Dissertation und zeigt, wie Mehrsprachigkeit in den von mir untersuchten Orchesterproben funktioniert:
Die Abbildung lässt sich wie folgt interpretieren:
1) Italienisch steht als Fachsprache übergeordnet über dem gesamten Probengeschehen.
2) Eine erste einfache Frage, die gestellt werden muss, ist, ob sich der/die Dirigierende und das Orchester bereits kennen. Falls ja, so können (sprachliche) Lösungen aufbauend auf vorigen Probenerfahrungen herangezogen werden. Falls nein, müssen neue Lösungen gefunden werden.
3) In beiden Fällen spielt jedoch eine Rolle, wie gut der/die Dirigierende die Arbeitssprache des Orchesters beherrscht:
a) Wenn die Arbeitssprache des Orchesters mit der Erstsprache des/der Dirigierenden identisch ist, so stellt diese Sprache die natürlichste, selbstverständlichste für die Probenkommunikation dar. Das heißt auch, dass wenn ein/e italienische/r Dirigent/in mit einem italienischen Orchester Italienisch spricht, dann sollte es dasselbe sein, wie wenn ein/e französische/r Dirigent/in mit einem französischen Orchester Französisch spricht. (Letztere Konstellation kommt im Corpus der vorliegenden Arbeit nicht vor, es kann aber angenommen werden, dass die Sprachwahl und die Kommunikation ähnlich verlaufen.)
b) Der/die Dirigierende beherrscht die Arbeitssprache des Orchesters sehr gut. In diesem Fall geschieht die Sprachwahl auf der Grundlage von Natürlichkeit und einem Entgegenkommen.
c) Der/die Dirigierende hat mangelhafte Kenntnisse in der Arbeitssprache des Orchesters. Er/sie spricht die Sprache aus Entgegenkommen, aber es kann durchaus sein, dass eine andere Sprache natürlicher für ihn/sie wäre.
d) Der/die Dirigent/in kann die Sprache des Orchesters gar nicht. Ist dies der Fall, so wird auf eine andere Sprache (Englisch) als Lingua franca ausgewichen.
4) In den Fällen a), b) und c) ist die Arbeitssprache des Orchesters auch Basissprache in der Probe. Das Gewicht der Arbeitssprache als Basissprache sinkt mit abnehmenden Sprachkenntnissen, gleichzeitig steigt die Tendenz zu Codeswitching und zur Verwendung von anderen Codes, wie Singen, Gestik, Mimik, körperliches Tun. Diese Codes spielen in der Kommunikation in Orchesterproben immer eine Rolle, sie erhalten aber eine größere Bedeutung, umso mangelhafter die Kompetenzen des/der Dirigierenden in der Arbeitssprache sind.
5) Im Fall d) wird Englisch zur Basissprache. Auch hier können Elemente des Codeswitchings und aus anderen Codes mit in die Kommunikation einfließen.
6) Wichtig sind auch die Sprachen im Repertoire des Konzertmeisters, der Gesangssolisten/innen und der Instrumentalsolisten/innen in dyadischen Interaktionssituationen (Dirigent/in – Konzertmeister, Dirigent/in – Solist/in / Solisten/innen), soweit der/die Dirigent/in darüber Bescheid weiß. Für diese Art von Kommunikation wird eine Sprache gewählt, die von den Repertoires auf beiden Seiten abhängig ist. Es kann sich um eine geteilte Erstsprache handeln, oder es kann eine andere Sprache zum Einsatz kommen, die aus Natürlichkeit oder Entgegenkommen gewählt wird. In beiden Fällen handelt es sich um ein participant related Codeswitching.
Soviel also zum mehrsprachigen Charakter von Orchesterproben… 🙂 Eine Frage, die bleibt, ist, ob dieses von mir erarbeitete Schema auch auf andere Orchesterproben übertragbar ist, und zwar in Orchestern mit anderen Arbeitssprachen als Französisch oder Italienisch. Anzunehmen ist es wohl. Um die Frage eindeutig beantworten zu können, wären aber weitere Untersuchungen in anderen Orchesterproben erforderlich…
Und noch ein kleines Zuckerl zum Schluss: Wer mehr zur Mehrsprachigkeit in Orchesterproben lesen möchte, kann das sehr bald in einem von mir erscheinenden Artikel in dem Sammelband „Dynamische Approximationen. Festschriftliches pünklichst zu Eva Lavrics 62,5. Geburtstag“ tun. Der Sammelband wird noch 2019 bei Peter Lang erscheinen, mein Artikel trägt den Titel „‚Wichtig ist, dass die Botschaft hinüberkommt, wie, ist dabei gleichgültig.‘ Mehrsprachigkeit im Vergleich: Orchesterproben vs. Fußballfeld“. In dem Artikel beschreibe ich einige Ausschnitte aus meinem Datencorpus und vergleiche die daraus resultierenden Erkenntnisse mit der Mehrsprachigkeit auf dem Fußballfeld. Hier noch einige weitere Infos für alle Interessierten zum Sammelband:
Bis zu meinem nächsten Blog-Beitrag,
mm 😉