Ein linguistischer Ausflug zwischen Speckknödelsuppe, hausgemachten Schlutzkrapfen und Tageskuchen

Es ist mal wieder Zeit für eine Speisekartenanalyse… 😛 Es wird also kulinarisch! Vor zwei Wochen war ich auf einer Almhütte in Südtirol, ganz in der Nähe meines Wohnorts, und bin dort auf eine Speisekarte gestoßen, die einige interessante Besonderheiten in sich birgt und die ich hier gerne teilen möchte. Soviel sei allerdings vorweggenommen: Es handelt sich dabei keineswegs um eine Kritik an dem Restaurant, wie es seine Speisekarte gestalten soll, sondern ich schaue einfach mit meinen analytischen, linguistischen Augen darauf und beschreibe, was mir auffällt. Also bitte nicht falsch verstehen! Hier nun als allererstes die Speisekarte:

Die Speisekarte ist in drei Abschnitte unterteilt: 1) dt. Gerichte, it. pasti; 2) dt. Beilagen, it. contorni; 3) dt. Nachtische, it. Dolci. Was vielleicht als erstes ins Auge sticht, ist, dass alle Speisen ins Italienische übersetzt wurden, außer der/die Tageskuchen unter den Nachtischen. Vielleicht eine Strategie, um sowohl mit den germanophonen als auch den italophonen Gästen ins Gespräch zu kommen. Denn die deutschen Gäste werden wohl an der Polysemie des Ausdrucks hängen bleiben (Um welchen Kuchen handelt es sich? Schokokuchen, Linzertorte oder jetzt im Herbst vielleicht auch ein Kastanienherz?), die italienischen Gäste werden sich fragen, was sich hinter dem deutschen Ausdruck verbirgt. So oder so muss der/die Gastgeber*in erklären, welcher Kuchen / Nachtisch an genau dem Tag Programm ist, und kann unter anderem auch gleich eine Empfehlung am Tisch aussprechen. Das finde ich eigentlich ganz klug gemacht, denn so ist auch der/die Köch*in ungebunden und kann sich je nach Laune an dem Tageskuchen austoben… 🙂

Beginnen wir jetzt aber von vorne… Die Karte startet mit Suppen, darunter dt. Speckknödelsuppe (2 Knödel), it. Due canederli di speck in brodo. Hier wirkt die deutsche Bezeichnung ein wenig sperrig, das Italienische kommt da schon eleganter daher – und hätte eventuell auch für den deutschen Speisenamen als Vorlage dienen können („Zwei Speckknödel in der Suppe“). Interessant finde ich auch, dass dt. Kürbiscremesuppe immer noch eine Suppe ist, während das Gericht im Italienischen zu einer crema (crema di zucca) wird, ohne den Zusatz zuppa. Der italienische Begriff crema vereint nämlich sowohl dt. Creme als auch Suppe und ist daher ökonomischer. Was im Italienischen – immer noch unter den Suppen – ebenfalls entfällt, ist das Diminutiv Gerstl in dt. Gerstlsuppe. Hier wird also im Italienischen auf diese Art von Aufwertungsstrategie verzichtet bzw. ist es wohl auch schwierig den Ausdruck ins Italienische zu überführen (evtl. „orzino“? 😉 )…

Auch die Bezeichnungen für das zweite Gericht sind mir ins Auge gesprungen: dt. Hausgemachte Schlutzkrapfen wird zu it. Ravioli atesini con ripieno [sic!] di spinaci. Was im Deutschen noch hausgemacht ist, ist im Italienischen auf einmal atesino (= ’südtirolerisch‘) – eine Aufwertungsstrategie wird also durch eine andere ersetzt -, Schlutzkrapfen werden zu Ravioli und im italienischen Speisenamen wird außerdem noch eine Erklärung, con ripieno di spinaci, hinzugefügt. Hier wird angenommen, dass der deutsche, nicht ortskundige Gast weiß, was er/sie auf dem Teller serviert bekommt, wenn er/sie Schlutzkrapfen bestellt. Die Erwartungen an den italienischen Gast sind indes anders gelagert: Er/sie wird mit zusätzlichen Informationen versorgt, die ihm/ihr eine Vorstellung davon geben, womit seine/ihre Ravioli gefüllt sind – wobei Ravioli nicht dasselbe wie Schlutzkrapfen sind und es auch hier noch einer weiteren Erklärung bedürfte…

Hinsichtlich Aufwertungsstrategien ist auch die nächste Speisenbezeichnung interessant. Die deutsche Bezeichnung wirbt mit dem Zusatz Starkenfelder Art, im Italienischen entfällt diese Aufwertung. Der deutsche Gast, der/die das Gericht auch nicht kennen sollte, erhält die Information, dass es sich um ein für die Almhütte typisches Gericht handelt; der/die italienische Kund*in weiß nur, dass es sich um Maccheroni handelt, die nach einer gewissen Art und Weise zubereitet sind (alla pastora) und mit Käse serviert werden. Für beide Art von Gästen bleibt allerdings unklar, wie das Gericht im Speziellen aussieht – auch hier würde eine zusätzliche Erklärung des Rätsels Lösung sein. 😉

Und nicht zuletzt fällt auf, dass in der Speisenbezeichnung dt. Grillkäse Starkenfeld ersichtlich wird, dass der Grillkäse mit der Hütte in Verbindung steht (es handelt sich um selbst hergestellten Käse). In der italienischen Bezeichnung Formaggio alla griglia wird auf diese Art von Aufwertung verzichtet, der Grillkäse bleibt ein Käse unter vielen, ohne besondere Merkmale. Ich selbst finde es ein bisschen schade, dass hier im Italienischen nicht auf diese besondere Eigenschaft des Käses hingewiesen wird, da es ihm dadurch doch zusätzliche Besonderheit und Raffinesse verleihen würde…

Wie man sieht, kann eine Wanderung zu einer Almhütte bei mir schnell zu einem linguistischen Ausflug und Erlebnis werden. 😛 Meinem analytisch geschulten Blick springen die Besonderheiten einer Speisekarte schnell einmal ins Auge. Und zugegeben: Man isst ja nicht nur mit dem Mund, sondern auch das Auge ist mit 🙂 – auch wenn das bei mir ein wenig in eine andere Richtung, eine sprachwissenschaftliche Richtung umschlägt… 😉

mm

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