Warum „Autobiochl“ und nicht „Fahrzeugschein“?
Zum Einstieg in diesen Beitrag eine Frage an alle Südtiroler*innen hier auf meinem Blog: Haben wir uns als Südtiroler*innen schon einmal gefragt, warum wir „Autobiochl“ und nicht „Fahrzeugschein“ sagen? Oder warum bestimmte Personen „Rutschelen“ und nicht „Locken“ haben? Diese beiden Ausdrücke und auch noch viele weitere haben wir uns aus dem Italienischen „geklaut“. Südt. Rutschelen stammt vom Ital. i riccioli und wurde durch einige Änderungen so angepasst, dass es wie ein deutsches Wort klingt. Das Wort Autobiochl (oder Autobüchlein) ist eine Teil-Übersetzung von it. libretto di circolazione: it. libretto wurde zu südt. Biochl (inkl. Diminutivform: südt. Biochl < it. libretto), der italienische Ausdruck circolazione (=Kraftfahrzeug) wurde durch die einfachere Form Auto ersetzt. Man sieht schon, auch Wörter und Ausdrücke, die einem so gar nicht Italienisch vorkommen, haben Wurzeln in der italienischen Sprache und sind mittlerweile so fest in unserem Wortschatz verankert, dass wir sie gar nicht mehr als „Fremdwörter“, als „außergewöhnlich“ oder auch als „anders“ wahrnehmen.
„Ich halte nichts von dieser Bastapolitik!“ – Italianismen im Deutschen
Mit Italianismen im Deutschen beschäftige ich mich nun bereits seit Längerem im Rahmen des OIM-Projekts (OIM = Osservatorio degli italianismi nel mondo), hier allerdings mehr auf die mündliche Umgangssprache bezogen, wie sie in Deutschland und Österreich verwendet wird. Im Rahmen dieses von der Accademia della Crusca in Florenz unterstützten Projekts werden Italianismen in unterschiedlichen Sprachen, etwa Deutsch, Englisch, Französisch, Polnisch, Spanisch usw. gesammelt und in eine Datenbank eingespeist, die in nächster Zeit auch für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll. Mit Italianismen in der Südtiroler Umgangssprache bzw. im gesprochenen Südtirolerisch habe ich mich bisher nur am Rande auseinandergesetzt; ich finde es aber vor allem hier spannend, auf die Suche nach Italianismen zu gehen, da der Kontakt zum Italienischen so unmittelbar und zudem historisch geprägt ist.
„Essmo magari an Tschelatti?“ – Italianismen in der Südtiroler Umgangssprache
Vor einiger Zeit bin ich auf die Bachelorarbeit von Isabel Meraner gestoßen, eine Südtirolerin, die an der Ludwig-Maximilians-Universität in München romanische und skandinavische Philologie studiert hat. Sie hat ihre Bachelorarbeit zum Thema „Romanische Einflüsse in der Südtiroler Umgangssprache“ verfasst und darin das Sprachverhalten von dialektophonen Sprecher*innen im Raum Bozen, Überetsch und Unterland untersucht. Sie hat insgesamt 1073 Wörter und Wortverbindungen romanischen Ursprungs ausgemacht (nicht nur Italianismen, sondern auch Ausdrücke, die vom Französischen, vom Ladinischen oder von Dialekten aus dem benachbarten Trentino abstammen) und sich hier vor allem auf die Umgangssprache fokussiert, also die Art von „Ausgleichssprache“, in der etwa ein/e Bozner*in mit einem/einer Unterlandler*in spricht und zu extreme Dialektismen vermieden werden. Isabel Meraner hat in ihrer Sammlung Internationalismen aus den Bereichen Essen und Trinken oder Musik ausgespart und sich vor allem darauf konzentriert, welche romanischen Entlehnungen speziell für Südtirol sind.
Zwei solcher für Südtirol typische Entlehnungen haben wir ja bereits weiter oben gesehen, Rutschelen und Autobiochl. Beim Begriff Rutschelen handelt es sich – der Einteilung von Isabel Meraner in ihrer Studie folgend – um ein sogenanntes assimiliertes Lehnwort, d.h. um ein Wort, das aus einer Gebersprache (dem Italienischen) in eine Zielsprache (dem Deutschen oder der Südtiroler Umgangssprache) übernommen und an die Aussprache in der Zielsprache angepasst wurden. Solche assimilierten Lehnwörter machen den Großteil in Meraners Sammlung aus (45%), daneben tauchen auch zahlreiche nicht assimilierte Lehnwörter auf (36%), wie z.B. magari (südt. vielleicht) oder cazzo (südt. scheiße). Der Begriff Autobiochl kann unter den Lehnübersetzungen eingeordnet werden: Die ausgangssprachliche, italienische Form wird in die Zielsprache übersetzt (it. libretto di circolazione > südt. Autobiochl). Interessant sind auch die hybriden Formen, also Kombinationen aus einem italienischen Wort und einer dialektalen Form, etwa in südt. brutta figura mochn.
Isabel Meraner hat außerdem festgestellt, dass das Italienische Einfluss auf das Laut- und Schriftbild von Ausdrücken in der Südtiroler Umgangssprache hat. So sprechen Südtiroler*innen das Wort Kaffee mit Betonung auf dem Endvokal aus, abgeleitet von it. il caffè, und nicht wie im (Standard-)Deutschen mit Betonung auf der ersten Silbe (Kaffee). Ein weiteres Beispiel ist das Farbadjektiv orange ([orãʃ] in Hochdeutsch ausgesprochen), das im Südtirolerischen zu orantsch [oRantʃ] wird, da hier die Aussprache von it. arancione beeinflusst wird.
Luxus vs. Bedürfnis: Was brauchen wir wirklich?
Auf diese Frage hat Isabel Meraner am Ende ihrer Bachelorarbeit versucht, eine Antwort zu geben. Bei vielen Begriffen aus der Kategorie Militärwesen und auch Verwaltung/öffentliches Wesen (z.B. südt. Quäschtur für ‚Polizeirevier‘ oder südt. Mareschallo für ‚Kommandant‘) handelt es sich um Bedürfnislehnwörter, da sie sehr oft in Verbindung mit dem italienischen Rechts-, Verwaltungs- und Verteidigungssystem stehen. Andere Ausdrücke, wie z.B. das Fluchwort Dio cane!, das auch als Luxuslehnwort bezeichnet werden kann, ist laut Meraner auf sprachliche Expressivität zurückzuführen. In Südtirol ist es sehr viel expressiver das italienische Fluchwort zu verwenden, als Verdammt noch mal! zu rufen. Dabei spielt auch eine gewisse sprachliche Verschleierung eine Rolle: Das Fluchen in der Fremdsprache ist weniger transparent als das Fluchen in der eigenen Sprache. Das bedeutet, durch Fluchausdrücke in der Fremdsprache wird das Fluchen an und für sich abgeschwächt.

gezeichnet von Hans Peter Demetz.
„Jetzt sein mer fregiert!“ oder die Unausweichlichkeit des Italienischen
Manch eine/n Sprachpurist*in mag es schaudern, aber der italienische Einfluss auf das Südtiroler Deutsch ist durch den hautnahen Kontakt mit Italien und auch mit italienischen Tourist*innen aus Rest-Italien unausweichlich. Aufbauend auf der Studie von Isabel Meraner – und auch auf anderen Arbeiten zur Rolle des Italienischen in Südtirol – wäre es nun interessant, eine aktuelle und umfassende Datenbank und Analyse des italienischen und auch romanischen Lehnguts in Südtirol zu erstellen. In dieser Datenbank sollte dann auch aufscheinen, an welchem Ort in Südtirol der italienische Begriff gefunden wurde und inwiefern er effektiv genutzt wird. Das heißt, hier gäbe es einiges an Arbeit zu tun, u.a. Datensammlung, Datenauswertung und Dateninterpretation. Wer weiß, vielleicht nehme ich mich dieser Arbeit in Zukunft ja an und finde heraus, ob die Perfektionierung der gesellschaftlichen Zweisprachigkeit in Südtirol die Entstehung einer Mischsprache verhindert oder ob dieses Mischen des Italienischen und des Deutschen gar eine ’neue Südtiroler Identität‘ bewirkt?…
mm
Molto interessante! Und sehr unterhaltsam zu lesen. Klar, es liegt nahe, dass sich die Sprachen dort vermischen. Muss ich drauf achten, wenn ich hoffentlich mal wieder für einen Urlaub in der Gegend bin. Saluti aus der Lombardei!
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