Draußen: Schnee. Drinnen: Mehrsprachigkeit. Als Teil II meines letzten Blogbeitrags, in dem ich ausgehend des Transkripts einer Probe des Orchestre de Paris Überlegungen zur Basissprache (oder auch base code) angestellt habe, die aber nicht immer leicht auszumachen ist. Denn der Großteil der Orchesterproben, die Teil meines Corpus sind, läuft mehrsprachig ab, wobei auch häufig zwischen unterschiedlichen Sprachen hin und her gewechselt wird.
Es stellen sich dahingehend gleich mehrere Fragen:
- Ab wann bzw. ab welchem Prozentsatz kann man in der Orchesterinteraktion von einer Basissprache sprechen?
- Welche Sprache setzt sich als Basissprache durch (z.B. die Arbeitssprache des Orchesters – im Orchestre de Paris wäre das Französisch, Italienisch als Fachsprache der Musik, Englisch als Lingua Franca, usw.)
- Und falls es einen base code gibt, welche Teile der Interaktion laufen in der Basissprache ab?
Auf diese Fragen möchte ich in diesem Beitrag antworten. Dazu noch einmal das Transkript der Probe des Orchestre de Paris, von dem ausgehend ich meine Analyse durchführen werde:
Zählt man in diesem Beispiel die Anzahl an französischen, italienischen und englischen Wörtern, so erhält man folgendes Ergebnis: 47 französische Wörter, 17 italienische Wörter (ohne die Verzögerungspartikel eh) und 2 englische Wörter. Prozentual betrachtet, setzt sich Französisch mit 71% klar gegenüber Italienisch mit 26% und Englisch mit 3% durch.
Diese Übermacht der französischen Sprache wird in dem Transkriptauszug zusätzlich durch die Kennzeichnung der Sprachen durch unterschiedliche Farben (rot für Französisch, grün für Italienisch, blau für Englisch) klar ersichtlich. Es kann hier also die französische Sprache, die auch zugleich Arbeitssprache des Orchesters ist, erkenntlich als base code ausgemacht werden.
In dem Beispiel fällt auf, dass der Dirigent bis zum Abbruch der Musik auf Italienisch spricht. Solange die Musiker/innen Musik machen, gibt er simultane Anweisungen (senza diminuendo, subito) auf Italienisch. Außerdem evaluiert er das Spielen der Musiker/innen in Z.03 mit dem italienischen Ausdruck bene, der hier zusätzlich noch Nachdruck verleiht – gemeinsam mit der abwinkenden Geste -, dass nun alle aufhören sollen zu spielen, da eine Erläuterung zur gerade gespielten Stelle folgen wird.
In Z.05 wechselt der Dirigent, nach einem kurzen Blättern in und Blick auf die Partitur, auf Französisch und versucht dann auch in den folgenden Zeilen so gut es geht, die französische Sprache als base code beizubehalten. Hier fließen immer wieder italienische Wörter mit ein, wie z.B. tempo, ritenuto, semplicemente, la vita, quindi, si, vibrato, più piano. Während die Ausdrücke wie tempo, ritenuto, vibrato, più piano und im weitesten Sinne auch semplicemente als musikalisches Fachvokabular bezeichnet werden können, sind die Ausdrücke wie la vita und quindi als kurze Ausflüchte in das Italienische anzusehen, da der Dirigent hier mit seinen (begrenzten) Französisch-Kenntnissen nicht mehr auskommt.
Interessant ist, dass der Dirigierende seine Aussage aus Z.08 und 09 (le requiem c’est après la vita de les hommes) in Z.10 und 11 nochmals anhand von Gesten und Körperbewegungen wiederholt bzw. szenisch darstellt. Diese zweimalige Darbietung desselben Inhalts kann zur Verständnissicherung dienen; es kann angenommen werden, dass der Dirigent dadurch sicher stellen möchte, dass auch alle Musiker/innen verstehen, was er ihnen mitteilen möchte. Es kommen hier also noch zusätzliche multimodale Elemente mit ins Spiel, die eine verbale Aussage (requiem quand les hommes c’est) komplettieren bzw. zu Ende führen.
Um den Übergang zwischen szenischer Veranschaulichung und erneuter verbaler Erklärung zu markieren, benutzt der Dirigierende den italienischen Ausdruck quindi. Auch in Z.13 verwendet er das Adverb si als diskursives Signal, das zum einen das Vorausgehende zum Abschluss bringt und zum anderen Nachfolgendes einleitet. Dann folgt ein Satz, der einen weiteren Diskursmarker (so) enthält, dieses Mal aber auf Englisch, gefolgt von einem zweiten englischen Wort (just), das die darauffolgende Äußerung einleitet. Warum der Dirigent hier für zwei Wörter ins Englische wechselt, kann vielleicht damit erklärt werden, dass ihm in seinem Französisch-Wortschatz das Wort donc fehlt, das im Italienischen mit quindi und im Englischen mit so übersetzt werden kann. Dass der Dirigierende dann noch ein Wort auf Englisch äußert, kann mit der sog. Umschaltträgheit zu tun haben: das Umschalten von einer Sprache in eine andere bedeutet einen gewissen kognitiven Aufwand, der sich in diesem Fall für den Dirigenten höchstwahrscheinlich nicht lohnt.
Wohl aber ab dem nächsten Wort, für das der Dirigierende auf Französisch wechselt und dann den italienischen Fachausdruck tempo einschiebt. Dasselbe geschieht auch in Z.14 und 18, wo als Fachvokabular vibrato und e più piano mit ins Spiel kommen. Außerdem kann in Z.15 und 16 eine ähnliche multimodale Veranschaulichung wie in Z.10 und 11 ausgemacht werden, bei der der Dirigent zuvor Gesagtes nochmals durch Gestik, Mimik und Körpersprache illustriert, um sich das Verständnis der Musiker/innen zu sichern.
Wie man sieht, kann dem Mix und vermeintlichen Chaos an Sprachen in der Orchesterprobe doch ein bestimmtes Muster verliehen werden, wenn auch manchmal nicht ganz leicht. Durch die Analyse war es möglich, eine Basissprache als solche zu kennzeichnen, sie gegenüber weiteren Sprachen abzugrenzen und festzumachen, an welchen Stellen welche Sprache und warum benutzt wird.
Soviel zur Mehrsprachigkeit…mein nächster Beitrag wird sich mit einem anderen Thema beschäftigen, denn auch mir wird der Mix an Sprachen irgendwann zu bunt… 😉
mm