„I know you know the Verdi Requiem, you show me every single moment when I stop. But if I stop it is why I don’t think your idea of the Verdi Requiem is good enough, for one reason: because we are cousins, French et Italians. But we are different. Thanks God for you and for us! In Verdi everything should be more visionary. More visionary, for instance when we have this tremolo: this tremolo is not tremolo. It should be alla punta. One millimeter, one millimeter [ahmt Violine nach]. Floating. Let’s try to do that.”
Aus meinen bisherigen Blogbeiträgen wird ersichtlich, dass eine Orchesterprobe v.a. – aber nicht ausschließlich – geprägt ist durch Instruktionen des/der Dirigierenden, die er/sie sowohl verbal als auch mithilfe von nonverbalen (multimodalen) Ausdrucksmitteln – wie Gestik, Mimik, Körper- und Kopfbewegungen, Blicke, usw. – zum Spielen der MusikerInnen gibt. Es kann aber durchaus vorkommen, dass in diese Anweisungen Erzählstrukturen eingebettet sind, die ebenfalls multimodal orientiert sind. Der/die Dirigierende kann etwa Hintergründe zum gerade gespielten Werk, vergangene Erfahrungen mit dem Werk oder dem/der KomponistIn, sowie eigene Vorstellungen zum Werk narrativ illustrieren. In dem oben angeführten Beispiel erläutert der Dirigent seine Interpretation des Requiems von Verdi. Und zwar macht er dies auf humorvolle Art und Weise, indem er z.B. einen kleinen Witz einbaut („Thanks God for you and for us!“), oder Franzosen und Italiener als Cousins bezeichnet. Außerdem baut er gleichzeitig Gesten ein, wie z.B. ein Klatschen und ein nachfolgendes Strecken der gefalteten Hände gen Himmel, um seinen Witz zu verdeutlichen.
Die Erzählpassage lässt sich in drei unterschiedliche „storytelling sequences“ einteilen. Eine einleitende Sequenz grenzt narrative Strukturen von Instruktionen ab: der Dirigierende verdeutlicht verbal, dass er sich im Folgenden nicht auf die Partitur, sondern auf eigene Erfahrungen und eigenes Wissen stützt, und unterstützt dies nonverbal durch das Einnehmen einer entspannten Körperhaltung – z.B. ein Zurücklehnen auf seinem Stuhl, Verschränken der Arme – oder durch die Ausrichtung seines Blickes ausschließlich auf das Orchester – und nicht abwechselnd auf Partitur und die MusikerInnen. Während der eigentlichen Erzählsequenz verlangsamt der Dirigierende das Sprechtempo, baut mehr Pausen ein, untermalt gestisch und mimisch das Erzählte und lässt seinen Blick über das Orchester schweifen. Auch bei den MusikerInnen zeigt sich eine entspannte Körperhaltung: sie haben ihre Instrumente nicht auf Anschlag, sondern sie tun es dem Dirigenten gleich und lehnen sich ebenfalls auf ihren Stühlen zurück, richten ihre Blicke nach vorne zum Dirigentenpult, lauschen der Erzählung und nicken teilweise zustimmend. Die Antwort- bzw. Bearbeitungssequenz seitens der Zuhörenden, die zu einer Erzählung dazugehört und diese komplettiert, äußert sich in der Orchesterprobe nicht durch verbale Beiträge der MusikerInnen, sondern sie reagieren musikalisch auf das Erzählte des Dirigierenden und versuchen das Gesagte auf ihr Spielen zu übertragen. Verbale Bearbeitungen und Kommentare treten nur im Hintergrund auf, d.h. die MusikerInnen können sich durch Flüstern oder leises Sprechen über die narrative Sequenz austauschen. Am Ende einer Erzählsequenz weist der Dirigierende durch verbale Signale darauf hin, z.B. durch den Wechsel auf instruktive Konstruktionen („Let’s try to do that.“). Gleichzeitig verändert sich seine Körperhaltung von entspannt zu angespannt, und seine Arme und Hände positionieren sich für das anstehende Weiterspielen bzw. das Geben eines Einsatzes für die MusikerInnen.
…und wenn sie nicht aufgehört haben zu spielen, dann erklingt Verdis Requiem noch heute…
mm