Gestik und Multimodalität

…nach einer etwas längeren Pause, gibt es wieder einen neuen Blogbeitrag. Der Fokus dieses Beitrags liegt auf den multimodalen Ressourcen (z.B. Gesten, Mimik, Blicke, Körper- und Kopfbewegungen, usw.), die der/die Dirigierende zur Verfügung hat, um den Musizierenden in der Orchesterprobe die von ihm/ihr gewünschte Interpretation des Stücks zu vermitteln. Dabei fällt auf, dass vor allem die Gestik als kommunikatives Mittel hervortritt: Sie kann entweder in eine verbale Aussage eingebettet sein, diese vorwegnehmen oder auch für sich stehen.

Um z.B. das Spielen der MusikerInnen abzubrechen, lässt der/die Dirigierende nicht nur in der Hand, in der er/sie den Taktstock hält, die Spannung fallen, sondern er/sie gibt ein zusätzliches Zeichen, das die MusikerInnen zum Verstummen veranlasst. Ein solches Zeichen kann z.B. ein Handkreisen sein, oder auch das Halten der geöffneten Hand auf Brusthöhe, wobei die Handfläche Richtung MusikerInnen gerichtet ist. Diese Geste verweist ikonisch auf das Stop-Zeichen, das z.B. auch von PolizistInnen angewandt wird, um Autos auf der Straße zum Anhalten aufzufordern. Häufig werden diese Gesten auch von Diskursmarkern, wie z.B. „okay“, „gut“ oder „danke“ begleitet.

Ganz besonders in den Vordergrund tritt Gestik in den Anweisungen und Erklärungen des/der Dirigierenden. In einer Probe am Konservatorium in Bozen, an der ich in der vergangenen Woche selbst teilgenommen habe, hat der Dirigent z.B. den Taktstock so benutzt, als ob er ein Messer in der Hand halten würde, mit dem er etwas durchschneiden möchte. Diese Geste sollte seine Anweisung, eine bestimmte Passage „molto puntuale“ zu spielen, unterstützen. An einer anderen Stelle wurde dieselbe Geste eingesetzt, um zu vermitteln, dass der Ton nicht zu lange gespielt werden darf, sondern dass er sozusagen abgeschnitten werden soll.

Häufig kam in dieser Probe auch geräuschvolle Gestik mit ins Spiel, wie z.B. schnipsen, klatschen, auf die Brust klopfen, oder mit dem Taktstock auf das Dirigierpult schlagen. Solche Gesten setzte der Dirigent ein, um den Rhythmus vorzugeben. Er imitierte also das Schlagzeug, das vor allem für die Rhythmik zuständig ist, und ließ seinen Körper oder auch den Taktstock zu Schlaginstrumenten werden.

Es konnte vorkommen, dass der Dirigent auch mit mehreren kommunikativen Mitteln gleichzeitig arbeitete und z.B. solche rhythmischen Gesten mit Singen und/oder mit Sprechen verband. Spannend mit anzusehen und zu hören war außerdem die Verknüpfung von Singen, Dirigieren und dem Nachzeichnen der bevorzugten Spielweise mit den Händen. Der Dirigierende strengte sich hier ganz schön an, um die von ihm gewünschte musikalische Performanz zu vermitteln und im Anschluss daran auch von den MusikerInnen zu hören.

Auffallend waren in der Probe zudem ikonische Gesten, die verbale Aussagen voraus nahmen. Bevor der Dirigent z.B. die verbale Anweisung gab, dass das Zusammenspiel besser sein sollte, verschränkte er die Finger ineinander, oder er griff sich mit der Hand an den Kopf und bewegte sie dann spiralförmig nach vorne, bevor er zu verstehen gab, dass sich jeder Musiker/jede Musikerin eigene Gedanken zum behandelten Werk machen sollte. In diesen Beispielen finden Gestik und Sprache nicht gleichzeitig statt, sondern zeitlich versetzt, und nicht die Sprache, sondern die Gestik steht im Vordergrund.

Die Gestik steht auch im Zentrum, wenn sie ohne verbale An- oder Aussagen eingesetzt wird. Der/die Dirigierende kann z.B. unterschiedliche Lautstärken nur durch Gestik vermitteln: bewegt er/sie die Hände nach unten, so bedeutet das, dass leiser gespielt werden soll, bewegt er/sie die Hände nach oben, so soll lauter gespielt werden. In der Probe am Konservatorium kam es vor, dass der Dirigent einen Takt angab, z.B. „bei Takt 44…“, den Satz jedoch nicht vervollständigte, sondern seine Hände nach unten bewegte und so zu verstehen gab, dass er sich diese Stelle leiser wünschen würde.

Der/die Dirigierende verwendet all diese Gestik in der Probe vor allem, um die Aufmerksamkeit der MusikerInnen auf sich zu ziehen, sobald er/sie seine/ihre Anweisungen von sich gibt. Die MusikerInnen sind den größten Teil der Probe mit ihren Noten beschäftigt, deshalb ist es umso wichtiger, dass der Dirigent/die Dirigentin Mittel und Wege findet, die Aufmerksamkeit zu bündeln und seine/ihre Vorstellung des musikalischen Werks so gut wie möglich zu vermitteln.

mm

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: