Exkurs: Kommunikationsschwierigkeiten

Liebe Leserinnen und Leser,

dieser Blogbeitrag ensteht heute spontan und aus aktuellem Anlass, ich möchte gerne dem Bedürfnis nachgehen, meine Gedanken nieder zu schreiben und zu teilen. Es handelt sich um einen kleinen Exkurs zu Verständnisproblemen zwischen Dirigent/in und Musiker/innen während der Probe, bzw. die Herausforderung, der sich der/die Dirigent/in immer wieder stellen muss, wenn er/sie den Orchestermusiker/innen eine bestimmte eigene Vorstellung zu dem behandelten musikalischen Werk vermitteln möchte.

Aktuell ist der Anlass deshalb, da ich vergangene Woche selbst bei einem Orchesterprojekt des Konservatoriums Bozen mitgewirkt habe und häufig Verständnisschwierigkeiten zwischen Dirigent und Musiker/innen beobachtet habe. Diese traten angesichts der Tatsache auf, dass sich – wie so oft in Orchestern – die Muttersprache des Dirigenten nicht oder nicht gänzlich mit der Muttersprache der Musiker/innen deckte. Der Dirigent stammt aus Österreich, seine Muttersprache ist demnach Deutsch, das Orchester hingegen war bunt gemischt mit Musiker/innen, deren Muttersprache entweder Deutsch, Italienisch, Spanisch, Chinesisch oder auch eine andere Sprache ist. Alle Musiker/innen haben jedoch gemein, dass sie die italienische Sprache soweit beherrschen, dass sie Anweisungen auf Italienisch seitens des Dirigenten verstanden hätten. Das Italienisch des Dirigenten war/ist allerdings nur spärlich bekleidet und kam/kommt über Zahlen zur Angabe der Taktzahl oder musikalische Ausdrücke wie „più piano“ nicht hinaus.

Sobald es darum ging, den Musiker/innen des Orchesters eine etwas ausführlichere Beschreibung einer musikalischen Interpretation zu geben, stieß der Dirigent bald auf eine sprachliche Barriere. In ähnlicher Weise war dies auch bei meinen Aufnahmen beim Orchestre de Paris zu beobachten: das Orchester wurde von einem italienischen Dirigenten geleitet, dessen Kenntnisse der französischen Sprache zwar ausgeprägter waren als die Italienisch-Kenntnisse des österreichischen Dirigenten, der sich aber auch bald den Schwierigkeiten, die ihm die Fremdsprache bereitete, geschlagen geben musste.

Was macht ein/e Dirigent/in in so einem Fall? Ganz einfach: er/sie switcht auf Englisch um oder fängt an vorzusingen. Fast schon nach dem Motto: Wenn alle Hebel reißen, dann hilft nur noch Englisch, oder Ich setze meine gesanglichen Fähigkeiten ein, um den Orchestermusiker/innen meine Ideen zu vermitteln. Meist wird das Ausweichen auf die englische Sprache noch von Rechtfertigungen („I’m sorry, but my Italian/French is not so good.“) begleitet, um das eigene Face oder das gewünschte öffentliche Selbstbild in sozialer Interaktion aufrecht zu erhalten.

Sind aber alle verbalsprachlichen Bemühungen umsonst und das Orchester reagiert musikalisch immer noch nicht in der gewünschten Vorstellung des/der Dirigent/in, so kommen auch illustrative Äußerungen wie z.B. gesangliche Imitationen zum Einsatz. In meinen Aufnahmen und auch in meinen Beobachtungen bin ich immer wieder auf sogenannte contrast pairs gestoßen, d.h. der/die Dirigent/in singt eine Stelle des Musikstücks falsch vor bzw. so wie sie nicht klingen sollte, um sie kurz darauf nach seinen Vorstellungen richtig gesanglich wieder zu geben. Er/sie benutzt hierfür einfache Laute wie „ta“, „da“, „ri“, „pa“, „dam“, usw. um gesanglich das nachzuahmen, was die Musiker/innen mit ihren Instrumenten spielen. Häufig werden gesungene Passagen von Gesten untermalt, die das Spielen von Instrumenten imitieren, um eine noch illustrativere, aussagekräftigere und verständnisvollere Darstellung abzugeben. Was dann häufig auch hilft und zu fruchtbaren Ergebnissen führt.

Interessant zu sehen ist zudem, dass der/die Dirigent/in während der Orchesterprobe auch manchmal die Bewahrung seines Face kurz aufgibt und den Versuch unternimmt, seine/ihre Kenntnisse in der Fremdsprache und gleichzeitig in der für den größten Teil der Musiker/innen sehr vertrauten Sprache durch Nachfragen zu verbessern. Er/sie schlüpft kurzerhand in eine Art Schülerrolle und fragt, wie das eine oder andere, wie z.B. der Auf- und Abstrich auf der Geige, in der Fremdsprache ausgedrückt wird. Solche Versuche seitens des/der Dirigent/in werden immer sehr willkommen von den Orchestermusiker/innen aufgenommen, denn sie unterstreichen das Bemühen, die Interaktion in der Probe konstruktiver zu gestalten und auf ein besseres gegenseitiges Verständnis zu gründen.

Außerdem habe ich bemerkt, dass sich die Dirigent/innen gerne immer wieder in ihre Muttersprache flüchten, sobald sie merken, dass z.B. ein oder auch mehrere Musiker/innen diese Sprache beherrschen und er/sie mit ihnen in der ihm/ihr vertrauten Sprache kommunizieren kann. Je nachdem auf welche Interaktionspartner/innen der/die Dirigent/in trifft, wählt er/sie die nach seinem/ihrem Befinden angemessene Sprache zu kommunizieren aus: die meist (aber nicht immer!) bruchhaften Kenntnisse der Fremdsprache und eigentlichen Muttersprache des Großteils der Orchestermusiker/innen, die Notlösung Englisch, oder die Muttersprache im Sinne eines Wohlfühlpolsters.

So, did you understand?

mm

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